Meine Krankheitsgeschichte

NEU: Eintrag vom 1. Mai

Nach einer weiteren MRT-Kontrolluntersuchung in Greifswald haben wir uns einen Kurz-Urlaub an der Ostsee gegönnt. Hier sind ein paar Impressionen: Wie Ihr wisst, versuche ich ständig mobiler zu werden. Und daher bietet sich ein Dreirad für „Große“ an. Mit Hilfe Auf- und Absteigen klappt schon gut, aber der rechte Fuß rutscht mir immer von der Pedale und das eigenhändige Lenken fällt mir noch schwer. Abgesehen davon, ich weiß nicht, ob das erlaubt ist … es ist immerhin ein Anfang!

Auf dem Baumwipfelpfad in Heringsdorf entstand dieses Foto. Ich bin den ganzen, anstrengenden Weg alleine gelaufen. Da habe ich den Hut vor mir selbst ziehen müssen 😊.

Und es ist Zeit für ein erstes Résumé:

Seit dem Vorfall vor zweieinhalb Jahren kostet mich die Konzentration auf alltägliche Sachen (zum Beispiel laufen, mich irgendwo festhalten, essen), soviel Energie, dass für andere Kopfaufgaben (zum Beispiel Nachdenken) nicht mehr viel Kraft übrigbleibt. Dann habe ich feststellen müssen, dass ich viel schreckhafter geworden bin – Herr S. aus G. wird das bezeugen 😊. Außerdem träume ich sehr viel intensiver, oft sogar eine komplette, schlüssige Geschichte am Stück. Ich beobachte an mir, dass ich bestimmte Worte vermeide, da ich die Aussprache vermeiden will. Und dabei kommt es mitunter vor, dass ich komplette Sätze auslasse, was es dem geneigten Zuhörer schwer bis unmöglich macht, mir zu folgen. Und wenn die Person dann meinen Gedanken ausspricht, denke ich wiederum „Genau das habe ich doch gesagt!“… Nein, mein Freund, das hast Du nur gedacht!!! Und eine letzte Beobachtung – ich habe große Probleme mich zu konzentrieren, wenn mehr als eine Person außer mir im Raum sind und am besten noch durcheinander sprechen.

Eintrag vom 16. März 2025

Ein neuer, wichtiger Meilenstein für mich! Die Unterarmgehstütze habe ich gegen einen Nordic-Walking-Pole getauscht!

Eintrag vom 19. Februar 2025

Am letzten Tag meiner NeuroIntensivWochen vom November 2024 bekam ich die Nachricht, dass sich Veränderungen in den MRT-Bildern von meinem Kopf nachweisen ließen – wahrscheinlich ein Tumorrezidiv. So eine Scheiße!!! Ein neuer Tiefschlag! Sofort ging es wieder los mit dem Kopfkino! Meine Frau versuchte, mich zu beruhigen. Aber es war zu spät! Jeder rationale Gedanke war für die Katz‘. Dazu kam noch eine nicht zu vernachlässigende Wahrscheinlichkeit, wonach sich mein Allgemeinzustand verschlechtern könnte. Bloßes Abwarten kam für mich nicht in Frage. In der nächsten Woche legten wir meinen OP-Termin auf den 21.1.25 fest. Das war noch fast zwei Monate hin! Das erlaubte mir einerseits „ruhige“ Weihnachtsfeiertage, andererseits konnte einen die Warterei kirre machen…

Mitte Januar 2025 war mit dem Neurochirurgen an der Uni-Klinik in Greifswald ein Vorbereitungsgespräch angesetzt. Dann ging es Schlag auf Schlag! Die Woche drauf war meine Kopf-OP. Direkt nach der Operation testete ich meine „Grundfunktionen“ – ich konnte klar denken*, ich konnte meinen Mund bewegen, konnte sprechen und schlucken. Meine rechte Körperhälfte fühlte sich so an, wie vor der OP und sonstige Beschwerden/ Einschränkungen gab es keine – ich war geradezu euphorisiert!

Nach einer knappen Woche ging es für mich wieder zur Reha in die BDH-Klinik, und zwar auf dieselbe Station, auf der ich schon 2023 lag. Das war mir sehr wichtig, da ich im schlimmsten Fall wenigstens in einer mir vertrauten Umgebung sein wollte! Nach etwa einer Woche konnte ich auf eine andere Station verlegt werden. Ein gutes Zeichen!

Die drei Wochen in der BDH vergingen sehr schnell. Ich konnte die Zeit gut nutzen und verbrachte sogar ein traumzauberbaumhaftes** Wochenende mit meiner Frau mit Pizza, dem Film „Der gezähmte Widerspenstigen“, einem Ryck-Spaziergang sowie einem oberleckeren Burger – alles innerhalb von 24 Stunden.

Zu Hause angekommen, musste ich erneut versuchen, mit den speziellen Verhältnissen zurecht zu kommen – es hatte geschneit. Dank meiner „Schneeketten“ war sogar ein Spaziergang im Schnee möglich. Wieder ein Schritt in die richtige Richtung!

Hoffentlich ist das mit meiner Krebserkrankung jetzt erledigt! Ich habe bisher noch keine ausführliche Auswertung über das Ergebnis der Operation. Als „Erfolg“ betrachte ich schon, dass die letzten Wochen mit OP, Reha und ohne zusätzliche Einschränkungen so gut geklappt haben.

* Was sagt das über einen aus, wenn ein Betroffener von sich der Meinung ist, dass er richtig tickt???

** 😊

Eintrag vom 6. Januar 2025

Im Juli 2015 wurde bei mir ein Nierenkarzinom diagnostiziert. Fragen, wie z.B. „Wieso ich? Wieso nicht irgendein rauchender Alki oder Penner?“ schossen mir in den Sinn, wobei ich genau wusste, dass es so gut wie keine Korrelation zwischen dieser Erkrankung und irgendwelchen Lebensweisen gibt! Etwa 80% aller Krebserkrankungen sind rein zufällig. Der Tumor wurde kurz darauf samt Niere entfernt.

Im August des Jahres 2021 wurden im Rahmen eines regelmäßen Screenings in meiner Lunge zwei Metastasen entdeckt, die im April des nächsten Jahres auch erfolgreich operiert werden konnten. Leider haben die Onkologen einer renommierten Berliner Klinik mir nicht geraten, auch ein CT oder MRT meines Kopfes machen zu lassen – mit gravierenden Folgen.

Im Dezember 2022 hatte ich eine Gehirnblutung (siehe Kapitel „An dem Tag, als alles anders wurde“). Ich wurde nach Neubrandenburg für eine Not-OP und eine Woche später nach Greifswald zur Früh-Reha in die BDH-Klinik gebracht.

In Greifswald haben sie mir alles, was für ein selbstständiges Leben notwendig ist, wieder beibringen müssen. Essen, Sprechen, Laufen, Waschen, Anziehen. „Anna“ war das erste Wort, das ich wieder sprechen konnte.

Im März kam der erste Tiefschlag – bei mir wurde im Kopf eine Metastase gefunden, die die Gehirnblutung ausgelöst hat. Also wieder operieren! Und das in der Hauptzentrale, dem Gehirn! Meine Hauptsorge damals war, dass ich alles, was ich mir mühsam wieder angeeignet hatte, umsonst war und ich wieder bei Null beginnen müsse.

Am Wochenende vor der OP bekam ich (wirklich überraschend) Besuch von meiner Schwester – ich habe mich so irre gefreut… Einige Tage darauf lag ich in der Uniklinik Greifswald auf dem OP-Tisch. Gleich nach der OP habe ich getestet, ob ich noch all das kann, was ich mir wieder erarbeitet habe. Die Erleichterung, dass das der Fall war, könnt Ihr sicherlich nachvollziehen. Nach einer kurzen Rückkehr in die BDH ging es dann nach Hause.

Unser Haus ist nach DIN keineswegs „rollstuhlgerecht“. Wir haben uns entschlossen, es dennoch bei minimalen Umbaumaßnahmen zu belassen. Das einzige, was zu tun war, war eine Schiebetür auszuhängen und das Wohnzimmer in ein Schlafzimmer umzuräumen – also Couch raus, Bett rein. Bei meiner Heimkehr war der erste Erfolg, dass die Treppenstufen und der „Gang“ auf die Toilette gemeistert wurden. Wenige Tage später versuchte ich, alleine zu duschen. Hochkonzentriert, gut vorbereitet und unter den wachsamen Blicken meiner Frau nahm ich dieses Vorhaben in Angriff. Nach dem erfolgreichen Test riss ich meine Arme nach oben – zumindest war das meine Absicht. Ich hatte für einen Augenblick vergessen, dass ich meinen rechten Arm nicht bewegen konnte.

Eine der ersten Aktion war der Einbau von zwei Sprossenwänden. Neben den Übungen, die wichtig für mich waren und sind, kann man eine Sprossenwand auch „zweckentfremdet“ nutzen. Zum Anbammeln von Jacken und Hosen, zum Anhängen und Ablegen von (unnützen) Dingen. Fazit: in jedem Haushalt sollte unbedingt eine Sprossenwand montiert werden!

Im Mai 2023 wurde mein Kopf einer Bestrahlung unterzogen. Jeden Tag, 13 mal insgesamt. Das alles ging relativ glatt über die Bühne, ich hatte keinerlei Nebenwirkungen, außer den Verlust meiner Haare. Aber die hatte ich mir eh kurz geschoren …

Im Juni 2023 schloss sich eine sogenannte Anschlussheilbehandlung an, die auch in der BDH-Klinik in Greifswald, also in einer mir vertrauten Umgebung, stattfand. Am letzten Wochenende des Klinik-Aufenthalts wurde meine Krücke (offizielle Bezeichnung: Unterarmgehstütze) geliefert. Endlich konnte ich laufen lernen (wie komisch das sich anhört), das habe ich sofort auf dem Uferweg der Ryck (oder heißt „des“?) ausprobiert. 200m habe ich an jenem Tag an einem Stück geschafft! Wahnsinn!!!

Im Herbst 2023 war ich bei einem Onkologen, welcher mir eine sogenannte Immuntherapie empfahl. Man versucht über eine Immuntherapie, das eigene Immunsystem zu aktivieren und so die Tumorzellen zu bekämpfen. Das bedeutet alle sechs Wochen eine Infusion. Auch während dieser Therapie hatte ich keine Nebenwirkungen.

Im Februar 2024 machte ich meine erste Fahrt alleine mit der Straßenbahn zu meiner ambulanten Reha. Vorher war ich schon einige Male zusammen mit meiner Frau mit den „Öffentlichen“ unterwegs. Aber DAS war völlig anders – auf keine Hilfe angewiesen zu sein, unabhängig, selbstbestimmt, mobil.  Es sind nur wenige Stationen bis zu meiner Reha-Einrichtung und meinem Institut, die stehe ich lieber, als dass ich sitze. Natürlich geht das nur, wenn ich mich festhalte. Aber immerhin! Das bedeutet „Freiheit“ für mich ganz persönlich!

Im März 2024 hatte ich einen epileptischen Anfall. Ich war nicht ansprechbar, als mich der Notarzt untersuchte. Ich wurde für einige Tage im Klinikum behandelt. Meine Neurologin erklärte mir nach dem Vorfall, dass das nicht selten vorkommen würde. Das Gehirn spielt faktisch verrückt! Mit den Nachwirkungen des Anfalls hatte ich noch einige Wochen zu kämpfen. Und er warf mich zurück, vor allem sprachlich.

Seit November ´24 versuche ich mich im Haus maßgeblich ohne Hilfsmittel zu bewegen. Und weil ich vorhin meine ersten Schritte mit der Krücke erwähnt habe – mein momentaner Streckenrekord liegt bei 3,5 km, dafür brauchte ich knapp zwei Stunden. Das kann ich natürlich nicht täglich absolvieren und auch nur, wenn ich wirklich fit und ausgeruht bin.

Seit reichlich anderthalb Jahren mache ich, wenn keine anderen Termine anliegen, jeden Tag eine Stunde „Sport“. Insgesamt sind das 18 Übungen, die ich auf meinem sogenannten „Schwabbelboard“ (einem Vibrationsbrett), an der Sprossenwand, in meinem Rollstuhl oder auf meinem Bett absolviere – entweder im Sitzen oder im Stehen. Die Übungen sind mit meinen Therapeuten abgesprochen.

Das Leben (auch nicht meins) besteht nicht nur aus Reha. Ich hatte das Glück für das Champions-League-Spiel von Union Berlin gegen Juventus Turin am 20. September 2023 zwei Karten zu bekommen.